Beer, Joseph; Deckname Jean-Joseph Bérard (1908–1987), Komponist und Dirigent

Beer Joseph, Deckname Jean-Joseph Bérard, Komponist und Dirigent. Geb. Chodorów, Galizien (Chodoriv, UA), 7. 5. 1908; gest. Nizza (Nice, F), 23. 11. 1987; mos. Sohn des wohlhabenden Bankiers Uri Isidor Beer und seiner Frau Amalie Esther-Malke Beer, geb. Silber, Vater der Künstlerin und Philosophin Suzanne Beer und der Sängerin Béatrice Beer; ab 1957 mit der aus München stammenden Holocaust-Überlebenden Hanna Königsberg verheiratet. – B. wuchs in Lemberg auf. Dort besuchte er das jüdische Gymnasium und das Konservatorium der Stadt, wo er Klavier und Komposition studierte. Gegen den Willen des Vaters sprach er nach der Matura an der Wiener Staatsakademie für Musik vor und wurde von Direktor Joseph Marx in seine Meisterklasse aufgenommen. Nach nur drei Jahren schloss B. mit Auszeichnung ab und übernahm dank der Fürsprache seines Mentors Marx eine Stelle als Korrepetitor und Dirigent der Ballettklasse der Akademie. Nach einem Gastspiel in Palästina lernte er →Fritz Löhner kennen, der ihm schon bald ein Operettenlibretto anbot. Obwohl er nie vorgehabt hatte, Operetten zu schreiben, ergriff B. diese einmalige Gelegenheit und komponierte als erstes Bühnenwerk „Der Prinz von Schiras“. Die Uraufführung im März 1934 im Stadttheater Zürich war so erfolgreich, dass das Stück vom Theater an der Wien übernommen und bald in ganz Europa nachgespielt wurde. Für B.s nächste Operette, „Die polnische Hochzeit“, konnte Löhner seinen renommierten Kollegen Alfred Grünwald als Mitarbeiter gewinnen. Wieder fand die Uraufführung in Zürich statt und wieder war der Erfolg einhellig. „Die polnische Hochzeit“ wurde in acht Sprachen übersetzt und von über 40 europäischen Bühnen nachgespielt. Die geplante Aufführung in Paris ermöglichte B. im Mai 1938 die Flucht nach Frankreich. In Paris hielt er sich mit Orchesterarrangements für den Film über Wasser. Sein Plan, als Lehrer an ein Musical College in die USA zu gehen, scheiterte wegen des deutschen Einmarschs in Frankreich. B. verließ Paris und tauchte unter dem Namen Jean-Joseph Bérard in Nizza unter. In seinem Versteck komponierte er die Oper „Stradella in Venedig“, die er nach dem Krieg vollendete und 1949 wieder am Stadttheater Zürich herausbrachte. Es war die letzte Uraufführung eines seiner Werke und sie blieb ohne große Resonanz. B., den die Nachricht vom Tod seiner Eltern und seiner Schwester im KZ tief getroffen hatte, zog sich zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück. Seit 1949 französischer Staatsbürger, lebte er weiterhin in Nizza, komponierte, gab Unterricht und nahm das Studium der Musikwissenschaft an der Sorbonne wieder auf, das er vor dem Krieg angefangen hatte. 1966 legte er eine Doktorarbeit über Skrjabin vor, die posthum (2016) unter dem Titel „L’évolution du style harmonique dans l’œuvre de Scriàbine“ erschien, und begann abermals für die Bühne zu schreiben. Bis zuletzt arbeitete B. an einer Neufassung der „Polnischen Hochzeit“, die in Schweden unter dem Namen „Masurkka“ nach wie vor auf dem Spielplan stand. Den Titel des selbst verfassten Librettos änderte er in „La Polonaise“ und verlegte die Handlung in die Ära der napoleonischen Besetzung Polens. Über dieser Arbeit verstarb B.

Weitere W.: Corelli-Variationen für Violine und Klarinette, 1930; Sonate für Cello und Klarinette, 1930; Walzer-Silhouetten. Symphonisches Ballett, 1932; Triptychon: Spiritual, Lullaby, Dance. Orchester-Suite, 1932 (alle verschollen); Nadel und Zwirn, 1937; Ave Maria für Soli, gemischten Chor und Orgel, 1946; Mitternachtssonne, 1987; La Polonaise, 1987.
L.: The Los Angeles Times, 7. 8. 2014; oeml; K. Pahlen, Musikgeschichte der Welt, 1947, S. 367; A. du Closel, Les voix étouffées du IIIe Reich. Entartete Musik, 2005, passim; Douce France? Musik-Exil in Frankreich. Musiciens en exil en France. 1933–45, ed. M. Cullin – P. Driessen Gruber, 2008, s. Reg. (mit Bild); R. Publig, in: klang:punkte/sound:files. Doblinger Verlagsnachrichten 32, Frühjahr 2011, S. 12ff. (mit Bild); M. Haas, Forbidden music. The Jewish Composers Banned by the Nazis, 2013, S. 259.
(St. Frey)   
Zuletzt aktualisiert: 27.11.2017  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 6 (27.11.2017)