Geyer, Eberhard (1899–1943), Anthropologe

Geyer Eberhard, Anthropologe. Geb. Wien, 11. 5. 1899; gest. Nepočataja, UdSSR (RUS), 5. 2. 1943 (gefallen); evang. AB. Sohn von →Rudolf Geyer. – Nach dem Besuch des Staatsgymnasiums ab 1910 versah G. 1917–18 Kriegsdienst an der italienischen Front. 1918–20 studierte er an der philosophischen Fakultät der Universität Wien (Anthropologie, Ethnologie, Paläobiologie), das Sommersemester 1920 verbrachte er in Uppsala. Ab 1920 studierte er Medizin in Wien. Nach Erhalt des Absolutoriums 1924 hörte er erneut Vorlesungen über Anthropologie bei →Rudolf Pöch an der philosophischen Fakultät; 1926 Dr. phil. Das Thema seiner Dissertation „Gestalt und Vererbung der Gegenleiste (Anthelix) des menschlichen Ohres“ beschäftigte ihn auch in seinen späteren Forschungen immer wieder. Bereits 1925 als Demonstrator am Anthropologisch-ethnographischen Institut der Universität Wien tätig, erhielt er 1927 eine Assistentenstelle am Institut für physiologische Anthropologie. 1926–27 besuchte er Vorlesungen über Tier- und Pflanzenzucht an der Universität für Bodenkultur bei →Leopold Adametz und Erich Tschermak Edler von Seysenegg. 1932 habilitierte sich G. für Anthropologie an der Universität Wien. In seiner Habilitationsschrift bearbeitete er jenes Material, das während der 1913–14 von der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien unterstützten Lapplandexpedition von →Georg Kyrle aufgesammelt wurde. Darüber hinaus war G. als Mitglied der erbbiologischen Arbeitsgemeinschaft (ab 1931) unter der Leitung von Josef Weninger 1933/34 mit der Organisation einer Expedition zur anthropologischen Aufnahme des schwäbischen Dorfs Marienfeld im Banat beauftragt, wo er sich mit Fragen der Familienanthropologie auseinandersetzte. 1933 trat G. der NSDAP bei, leitete während der Verbotszeit die Betriebszelle am Anthropologischen Institut und wurde danach Hauptstellenleiter des Rassenpolitischen Amts im Gau Niederdonau. 1938 übernahm er die provisorische Leitung des Instituts für physische Anthropologie, wobei er als Abstammungsgutachter als besonders radikal galt. 1941 wurde er zum ao. Professor ernannt und im September desselben Jahres zum Wehrdienst eingezogen, wo er als Hauptmann der Reserve und Kompaniekommandant an der Ostfront nordöstlich von Kursk fiel. Wissenschaftlich befasste sich G. v. a. mit prähistorischer Anthropologie (u. a. anhand von Skelettmaterial aus der Bronzezeit, frühgeschichtliche Schädelfunde aus dem südlichen Niederösterreich), Vererbungslehre und „Rassenkunde“. Bereits in jungen Jahren trat er für die Eugenik ein und verlangte vom Staat eine Geburtenpolitik, die darauf ausgerichtet war, nur diejenigen „Erbstämme“ zu fördern, die fähig seien, die Kultur zu erhalten und fortzuführen. Sein besonderes Interesse galt zudem dem Vaterschaftsnachweis, der Abstammungs- sowie der Zwillingsforschung. G. fungierte als zweiter Vorsitzender der Wiener Gesellschaft für Rassenpflege sowie 1928–38 als Vortragssekretär und ab 1939 im Ausschussrat der Anthropologischen Gesellschaft in Wien.

Weitere W.: s. Cermak.
L.: Znaimer Tagblatt, 24. 3. 1943; E. Cermak, Beiträge zur Geschichte des Lehrkörpers der philosophischen Fakultät der Universität Wien zwischen 1938 und 1945, phil. Diss. Wien, 1980, S. 84ff. (mit W.); B. Fuchs, „Rasse“, „Volk“, Geschlecht, 2003, S. 261ff., 288, 297ff.; E. Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, 2003; K. Pusman, Die „Wissenschaften vom Menschen“ auf Wiener Boden (1870–1959), 2008, s. Reg.; Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus, ed. M. G. Ash u. a., 2010, s. Reg.; UA, Wien.
(D. Angetter)   
Zuletzt aktualisiert: 15.12.2020  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 9 (15.12.2020)
1. AUFLAGE: ÖBL 1815-1950, Bd. 1 (Lfg. 5, 1957), S. 433f.
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