Liszt, Franz von (1851-1919), Jurist

Liszt Franz von, Jurist. * Wien, 2. 3. 1851; † Seeheim a. d. Bergstraße (Hessen), 21. 6. 1919. Sohn des Juristen Eduard L. (s. d.), Vetter des Vorigen und des Arztes und Schriftstellers Anton Joseph L. (s. d.); stud. 1869–73 an der Univ. Wien Jus, wo u. a. J. Glaser (s. d.), Unger, Merkel, Wahlberg und Ihering seine Lehrer waren, dann in Göttingen und Heidelberg, 1875 Habil. in Graz, 1879 an der Univ. Gießen, 1882 in Marburg, 1889 in Halle, 1899 in Berlin o. Prof. für Straf- und Strafverfahrensrecht. Ab 1881 gab L. gem. mit Dochow in Halle (nach dessen Tod mit K. v. Lilienthal) die „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“ heraus, in der er seine strafrechtlichen und kriminalpolit. Ideen und Theorien veröff. 1882 erfolgte in Marburg die Gründung des „Kriminalistischen Seminars“ (ab 1899 Kriminalist. Inst.), dem er seine eigene Bücherei zur Verfügung stellte. Hier sammelte L. einen internationalen Schülerkreis, aus dem zahlreiche namhafte Strafrechtler hervorgingen. 1889 gehörte er zu den Mitbegründern der „Internationalen Kriminalisten-Vereinigung“, die der wiss. Erforschung des Verbrechens und seiner Bekämpfung auf breitester Ebene dienen sollte. L., der immer polit. sehr aktiv gewesen war (dem Linksliberalismus zugewandt, was u. a. seine Berufung nach Wien vereitelte), wurde 1908 preuß. Abg. (1908 Mitgl. des preuß. Landtages, 1912 des Dt. Reichstages, fortschrittliche Volkspartei), um in der geplanten amtlichen Strafrechtsreform seine kriminal- und sozialpolit. Ideen verwirklichen zu können. Von den Naturwiss. und dem naturalist. Positivismus mit seiner rein induktiven Methode beeinflußt, überwand L. die herkömmliche Strafrechtsdogmatik, die auf einer liberal-rechtsstaatlichen und autoritären Auffassung des Strafrechts beruhte, begründete die Kriminalursachenlehre und die Kriminalpolitik und wurde so zum Schöpfer der modernen, auf Grund sozialer Auffassung beruhenden Strafrechtswiss. Der Zweckgedanke und seine Bedeutung für das Recht stellen ein Motiv in L.s wiss. Werken dar; ein Hauptaugenmerk der Lisztschen Schule wurde daher der Strafe zugewandt, die, in bewußtem Gegensatz zum Vergeltungsprinzip der klass. Strafrechtsschule nach spezialpräventiven Grundsätzen ausgerichtet, in erster Linie Schutz- und Erziehungsstrafe sein sollte. Große Bedeutung maß L. der Erforschung der Kriminaltatsachen und -ursachen auf internationaler Basis zu. Als Strafrechtsdogmatiker erwarb sich L. durch sein Lehrbuch, das seiner klaren Systematik und Begrifflichkeit wegen in viele Sprachen übers. wurde, ebenso wie als Völkerrechtslehrer durch sein Lehrbuch des Völkerrechts einen glänzenden Namen.

W.: Meineid und falsches Zeugnis. Eine strafrechtsgeschichtliche Stud., 1869; Lehrbuch des österr. Preßrechts, 1878; Das dt. Reichs-Preßrecht . . . , 1880; Lehrbuch des dt. Strafrechts, 1881, 26. Aufl., hrsg. von E. Schmidt, 1932; Das Strafrecht der Staaten Europas, in: Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung, Bd. 1, 1894; Das Völkerrecht, systemat. dargestellt, 1898, 12. Aufl., hrsg. von M. Fleischmann, 1925; Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge, 1875–1904, 2 Bde., 1905; Verbrechen und Vergehen wider das Leben, gem. mit A. Löffler, E. H. Rosenfeld und G. Radbruch, in: Vergleichende Darstellung des Dt. und Ausländ. Strafrechts. Besonderer Tl., Bd. 5, 1905, S. 1 ff; Die Reform des Reichsstrafgesetzbuches. Krit. Besprechung des Vorentwurfes zu einem Strafgesetzbuch für das Dt. Reich unter vergleichender Berücksichtigung des österr. und schweizer. Vorentwurfes, gem. mit P. F. Aschrott, 2 Bde., 1910; Gegenentwurf zum Vorentwurf eines dt. Strafgesetzbuchs, gem. mit J. Goldschmidt, W. Kahl und K. v. Lilienthal, 1911; zahlreiche Abhh. in Fachz. Mithrsg.: Die Strafgesetzgebung der Gegenwart in rechtsvergleichender Darstellung, 2 Bde., 1894–99; Vergleichende Darstellung des Dt. und Ausländ. Strafrechts, 15 Bde., 1908–09.
L.: N. Fr. Pr. vom 2. und 3. 3. 1911 und 23. 6. 1919; Jurist. Bll., Jg. 40, 1911, S. 144 f., Jg. 48, 1919/20, S. 206, 222 ff.; Österr. Z. für Strafrecht 2, 1911, S. 129 f.; Z. für die gesamte Strafrechtswiss., Bd. 40, 1919, S. 529 ff., 535 ff.; Dt. Juristenztg., Jg. 24, 1919, S. 570 ff.; Burgenländ. Heimatbll. 5, 1936, S. 24–34; Sacher, Staatslex.; Kosch, Das kath. Deutschland; Wer ist’s? 1905–14; E. v. Liszt, F. Liszt. Abstammung, Familie, Begebenheiten, 1937, S. 62 f., E. Schmidt, Einführung in die Geschichte der dt. Strafrechtspflege, 3. Aufl., 1965, S. 357 ff.
(Böck)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 5 (Lfg. 23, 1971), S. 248f.
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