Schirndinger von Schirnding, Ferdinand Leopold Gf.; Ps. F. Gr. Friedolin (1808-1845), Publizist

Schirndinger von Schirnding Ferdinand Leopold Graf, Ps. F. Gr. Fridolin, Publizist. * Prag, 7. 6. 1808; † Prag, 28. 7. 1845. Sohn eines Rittmeisters, verheiratet mit der Tochter eines Schankwirts. 1833–36 Hilfsschreiber des böhm.-ständ. Landesausschusses in Prag, entfaltete S. ab 1838 eine rege Schriftstellertätigkeit und verfaßte Erz., Novellen und Ged. im Geist eines provinziellen Romantizismus. In dem von S. in Prag 1840–42 hrsg. Almanach „Camellien“ kamen namhafte dt.-böhm., z. Tl. auch tschech. Schriftsteller zu Wort. Weitaus bedeutender waren seine Beitrr. für oppositionelle Z. in Leipzig und bes. seine polit. Broschüren, in denen er vom Standpunkt des böhm. Landespatriotismus aus Kritik an den vormärzlichen Zuständen Österr. übte und zugleich die sozialen Probleme des verarmten Adels und der Textilarbeiter betonte. Ab 1842 stand S. bes. wegen seiner Kontakte zu Leipziger Literatenkreisen unter polizeilicher Beobachtung. Im gleichen Jahr scheiterte sein Bemühen, sich in Leipzig niederzulassen – sein Projekt, über den Aufstand in Galizien zu publ., wurde von der sächs. Zensur unterbunden – sowie in Berlin eine oppositionelle Z. herauszugeben. 1844 wurden weitere Untersuchungen gegen ihn und Hickel (s. d.), mit dem er zusammenarbeitete, durchgeführt. Nach Hausdurchsuchungen 1845 von der Prager Stadthauptmannschaft verhört, zeigte er sich geständig, doch wurde wegen seiner schweren Krankheit das Verfahren gegen ihn wieder eingestellt. Im gleichen Jahr überwarf er sich mit seinem Verleger Philipp Reclam. Nur ein früher Tod bewahrte S. vor einem bereits eingeleiteten weiteren Verfahren. S., der je nach Auftragslage in seinen Publ. die verschiedensten polit. Richtungen vertrat, kam in seinen sozialen Theorien dem Gedankengut Claude Henri Saint-Simons, in seinem Demokratieverständnis Arnold Ruge nahe.

W. (tw. anonym): Spiegelbilder aus dem weiblichen Kunst- und Berufsleben der modernen Welt, 1839; Oesterr. im Jahre 1840, 4 Bde., 1840–44; Babinski. Räuberleben aus Böhmens neuester Zeit, 1842; Die Juden in Oesterr., Preußen und Sachsen, 1842; Böhmens Provinzial-Zustände auf dem Schachbrette der Oeffentlichkeit, 1843; Böhmens Zukunft und Oesterr. Politik vom Standpunkte der Vergangenheit und Gegenwart, 2 Bde., 1844; Die Unruhen in Böhmen, 1845; Prag und die Prager, 1845; Das Judentum in Oesterr. und die böhm. Unruhen, 1845; Splitter und Balken aus Österr., 1845; Zwei Fragen aus Böhmen, 1845. Hrsg.: Camellien. Vaterländ. Album für Literatur, Kunst, Wiss. und geselliges Leben, gem. mit A. Kinau, 4 Bde., 1840–42; Revue österr. Zustände 1, 1842.
L.: (s. auch unter Schirnding): Z. Malý, in: Jb. für Geschichte der UdSSR und der Volksdemokrat. Länder Europas 7, 1963, S. 527ff.; Brümmer; Kosch, Kath. Deutschland; Otto; Wurzbach; Literar. Geheimberr. aus dem Vormärz, hrsg. von K. Glossy, 1912, s. Reg.; J. Heidler, Čechy a Rakousko v politických brožurách předbřeznových, 1920, S. 93ff., 114f.; J. Marhold, Österr. im Lichte der dt. Buch- und Broschürenliteratur der vierziger Jahre (1840–48), phil. Diss. Wien, 1924, S. XXIIIf.; Allg. Verw.A., Wien.
(J. Kořalka)  
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 10 (Lfg. 47, 1991), S. 163f.
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