Stürgkh, Karl Gf. (1859–1916), Politiker

Stürgkh Karl Gf., Politiker. Geb. Graz (Stmk.), 30. 10. 1859; gest. Wien, 21. 10. 1916 (ermordet); röm.-kath. Bruder von Joseph Gf. S. (s. d.). – S. absolv. das Gymn. in Graz und stud. an der dortigen Univ. ab 1877 Jus; 1881 Dr. jur. Zunächst in der stmk. Statthalterei tätig, trat er 1886 als Konzipist in das Unterrichtsmin. ein, wo er rasch Karriere machte (1888 Min.vizesekr.). Ab 1891 betätigte er sich auch polit.: Er war 1891–95 Abg. zum RR, dort Sprecher der Mittelpartei und wurde danach als HR wieder ins Unterrichtsmin. berufen, wo er die Leitung des Mittelschulreferats innehatte. 1897–1907 erneut RR-Abg., profilierte er sich als eine der führenden Persönlichkeiten des verfassungstreuen Großgrundbesitzes; ab 1896 gehörte S. auch dem stmk. LT an. Ein Gegner des allg. und gleichen Wahlrechts, wurde er 1907 nicht in den RR wiedergewählt, worauf er vom K. zum lebenslängl. Mitgl. des HH ernannt wurde. 1909–11 amtierte S. als Unterrichtsminister. Als solcher führte er u. a. den schulärztl. Dienst ein und förderte die höheren kaufmänn. Lehranstalten. Im November 1911 wurde S. zum Ministerpräs. ernannt. Er bildete ein Beamtenkabinett aus Fachleuten und konnte sich durch eine „Politik der Brückenköpfe“ in den verschiedenen Parteien und nationalen Gruppierungen die notwendigen Mehrheiten im RR sichern. In seiner Amtszeit brachte er auf diese Weise u. a. ein Gesetz über die staatl. Wohnfürsorge, eine Dienstpragmatik für die Beamten und die Wehrgesetze durch. 1912 bot er aufgrund eines schweren Augenleidens seine Demission an, die jedoch vom K. abgelehnt wurde. 1914 brachte er zwar einen Ausgleich mit Galizien zustande, die Ausgleichsverhh. mit Böhmen 1913 waren jedoch gescheitert, was die Auflösung des böhm. LT und die Einsetzung einer Landesverwaltungskomm. zur Folge hatte. Aufgrund der tschech. Obstruktion vertagte S., dem es an staatsmänn. Weitblick fehlte, den RR zunächst vorübergehend und ab März 1914 auf unbestimmte Zeit. Er regierte von da an mit Hilfe des § 14 des StGG mittels Notverordnungen. Unangenehme Berr. über die militär. und wirtschaftl. Lage des Reichs hielt er vom K. fern. 1914 trat S. für ein rasches und energ. Vorgehen gegen Serbien ein. Die Wiedereinberufung des RR während des Kriegs lehnte er ab, was im HH und bei Teilen der Öffentlichkeit auf Kritik stieß und letztl. der Anlaß für seine Ermordung sein sollte. Er wurde von Friedrich Adler, dem Sohn Viktor Adlers (s. d.), im Hotel Meissl & Schadn am Neuen Markt in Wien erschossen.

L.: WZ, 21. (A.), 22., FB, NFP, RP, 22. 10. 1916; Biograph. Lex. Südosteuropas; Czedik 4, s. Reg.; J. M. Baernreither, Der Verfall des Habsburgerreiches und die Dt., ed. O. Mitis, 1939, s. Reg.; Schicksalsjahre Österr. 1908–19. Das polit. Tagebuch J. Redlichs 1–2, bearb. F. Fellner, 1953–54, s. Reg.; A. Fussek, Ministerpräs. K. Gf. S., phil. Diss. Wien, 1959; S. Lubienski, Die steir. Abg. im österr. RR 1901–07, phil. Diss. Graz, 1987, s. Reg.; Biograph. Wörterbuch zur dt. Geschichte 3, bearb. K. Bosl u. a., Nachdruck 1995; Personenlex. Österr., ed. E. Bruckmüller, 2001 (m. B.); P. Wiesflecker, in: Bürger, Bauern, hohe Herren, ed. J. Riegler, 2005, S. 129ff. (m. B.); UA, Graz, Stmk.
(F. Weissensteiner)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 13 (Lfg. 62, 2010), S. 444f.
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