Venus, Michael (1774–1850), Pädagoge

Venus Michael, Pädagoge. Geb. Prag, Böhmen (Praha, CZ), 28. 10. 1774; gest. Wien, 12. 11. 1850. Sohn eines Angehörigen der k. k. Armee, Vater des Pädagogen Alexander V.; verheiratet mit Theresia V., verwitwete Weinberger (gest. 1854). – V. kam aufgrund einer berufl. Anstellung seines Vaters im Kindesalter nach Wien, wo er sich zum Lehrer ausbilden ließ und bereits 1791 Gehilfe des Zeichenlehrers an der Normalhauptschule bei St. Anna wurde. 1792 versetzte ihn →Joseph Spendou als Lehrer an die Hauptschule am Bauernmarkt. 1804 übernahm V. gem. mit Johann Drack die Dion. dieser Schule. Neben seiner Lehrtätigkeit versah V. mit Beginn seiner Anstellung am Bauernmarkt die private Betreuung und Nachhilfe von Taubstummen aus adeligen Familien. Method. wurde er dabei von Joseph May angeleitet, der ab 1792 Dir. des Taubstummen-Inst. in Wien war. An diesem war auch der später berühmte Phrenologe Franz Joseph Gall als prakt. Arzt beschäftigt, mit dem V. bis zur Jh.wende Untersuchungen zu anatom. Aspekten der Taubstummheit durchführte. Als Nachfolger von Johann Michael Weinberger wechselte V. 1809 selbst an das Taubstummen-Inst., 1820 trat er dort die Nachfolge von May an. Während seiner 30-jährigen Amtszeit gelang es ihm, das Inst. in der österr. Bildungslandschaft finanziell und gesellschaftl. zu etablieren. 1826 erschien seine wirkungsstärkste Publ., das „Methodenbuch oder Anleitung zum Unterrichte der Taubstummen“, das, da es ab 1820 erstmals behördl. Vorgaben zum Taubstummenunterricht gab, als grundlegendes Buch in der Ausbildung von Taubstummenlehrern in der gesamten Monarchie Verwendung fand. 1810–35 verf. V. fünf Lehrbücher für den Unterricht. Gem. mit May steht V. für die sog. Wr. Schule im Taubstummenunterricht, in Abgrenzung zur dt. bzw. französ. Methode. Die Debatte begann im 18. Jh. zwischen Charles-Michel de l’Épée und Samuel Heinicke und kreiste um die Frage, ob der Gebärden- oder der Lautsprache in der Gehörlosenpädagogik der Vorzug zu geben sei. L’Epée argumentierte für die Gebärden-, Heinicke für die Lautsprache. Das von May und V. vertretene Modell stellt eine Kombination beider Ansätze dar und geht damit einen eigenständigen Weg. Nach V.ʼ plötzlichem Tod führte sein Sohn Alexander V. diese Tradition in seiner Funktion als Dir. der Anstalt bis 1885 weiter.

Weitere W. (s. auch Schott): Über den Werth milder Gaben und frommer Stiftungen für Taubstumme, 1815; Das kais. kön. Taubstummen-Inst. in Wien, 1823; Lesebüchlein, den Kindern das Lesen ohne Buchstabiren in kurzer Zeit zu lehren, 1832; Lesebüchlein zum Gebrauche bey dem Unterrichte in der Tonsprache für Taubstumme, 1833.
L.: WZ, 25. 1. 1851; Wurzbach; Oesterr. pädagog. Wochenbl. zur Beförderung des Erziehungs- und Volksschulwesens 9, 1850, S. 743f.; A. Löwe, Hörgeschädigtenpädagogik international, 1992, s. Reg.; W. Schott, Das k.k. Taubstummen-Inst. in Wien 1779–1918, 1995, s. Reg. (m. W.); Pedagógiai Lex. 3, 1997.
(J. Pircher)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 15 (Lfg. 68, 2017), S. 228f.
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