Wels, Franz Xaver (1873–1940), Flugtechniker

Wels Franz Xaver, Flugtechniker. Geb. Marburg, Stmk. (Maribor, SLO), 10. 2. 1873; gest. Wien, 18. 10. 1940 (ehrenhalber gewidmetes Grab: Wr. Zentralfriedhof). Sohn eines Hoteliers. – W. besuchte in Graz die Realschule und anschließend die Staatsgewerbeschule bis 1891. Bei der Fa. Warchalowski in Wien begann er als techn. Zeichner und Techniker. 1893 absolv. er das Technikum im sächs. Mittweida, rückte zum IR nach Graz ein und kam dadurch nach Wr. Neustadt zu einem Turn- und Fechtlehrerkurs, danach wurde er zur Inf.-Kadettenschule in Kamenitz bei Peterwardein versetzt. Ab 1895 widmete W. sich ausschließl. der Fechtkunst sowie flugtechn. Stud. und entwickelte sich zum Sporttechniker. 1898 schied er aus dem Militär aus und arbeitete i. d. F. als techn. Angestellter in England. Zu jener Zeit suchte →Viktor Silberer einen Piloten für →Wilhelm Kress. Als W. sich meldete, empfahl ihn Kress an die Etrichs weiter, und im Herbst 1903 begann eine sechsjährige Zusammenarbeit mit Igo Etrich. W. untersuchte viele in der Natur vorkommende Flügelformen und stieß Anfang 1904 auf den Flugsamen der Java-Gurke (Zanonia macrocarpa), nach dessen Form er Modelle und Gleiter baute. W. war allein für diese Entwicklungen verantwortl., die in dem Patent eines Nurflügelmotorflugzeugs gipfelten. Mit der manntragenden Ausführung machte er Anfang Oktober 1907 den ersten Flug. Nebenbei beschäftigte er sich im böhm. Trautenau mit Motorschlitten, die von einer Luftschraube bzw. durch Walzenkörper angetrieben waren, der kommerzielle Ausbau wurde aber zugunsten der Flugversuche aufgegeben. Als Etrich mit seiner Werkstätte nach Wien in die Rotunde übersiedelt war und häufig in Paris weilte, begann W. mit einem Doppeldeckerbau, was zum Ende der Zusammenarbeit führte. 1911/12 hielt W. zahlreiche Vorträge über die „pflanzlichen und tierischen Flieger der Natur“. Mit Georg Gf. Khevenhüller entwickelte er in Wr. Neustadt ein Schwingenflugzeug, wegen unterschiedl. Vorstellungen wurde die gem. Arbeit aber bald eingestellt. Trotzdem verfolgte W. diese Antriebstechnik weiter und baute ein dreirädriges hölzernes Versuchsgerät mit Schwingenflächen, mit dem die Mechanik erprobt wurde. Um Motorschlitten zu entwickeln, ging W. auf Einladung der dt. Militärbehörden 1914 nach Berlin. 1916 zur Armee einberufen, wurde er dem Wr. Res.spital zugeteilt, wo man ihn mit Forschungsarbeiten über Gelenkprothesen betraute. Bei HR Hans Spitzy richtete er eine Prothesenwerkstätte ein, machte sich auf diesem Gebiet einen Namen und erhielt einige Patente. 1918 fand W. in Max Baron Kulmer einen Geschäftspartner, der seine Entwicklungen finanziell abdecken sollte. Die Forschungen selbst konnte W. ab diesem Jahr im eigenen mechan.-physiolog. Laboratorium im Maria Theresien-Schlößl auf der Wieden durchführen, teils auch im hydromechan. Laboratorium der TH in Wien. Der neue Antrieb, Translationstrieb benannt, wurde in einem Schwingenflügelflugzeug-Modell und in einem Boots-Modell getestet. Ähnl. sollte auch eine Wasser- oder Windturbine funktionieren, nur wurde hier der „Antrieb“ durch das strömende Medium verursacht. Der Wirkungsgrad lag bei ausgezeichneten 65 %. In Modellen, gebaut von Manfred Reiffenstein, konnte die Wirkung getestet und erprobt werden. 1923 fand die prakt. Anwendung dieses Antriebs erfolgreich in einem Boot statt, eine Großausführung im Flugzeug mit bewegl. Tragfläche, 1924 von Maurycy Bartelmus in Bielsko hergestellt, hatte jedoch keinen Erfolg. Im Herbst 1923 verkauften W. und Kulmer die Patentrechte an einen österr. Großkonzern, sie wurden jedoch nicht genutzt. Um Entwicklungen an Motorschlitten und Booten durchzuführen, wurde er mit seiner Familie 1927 nach Schloss Harta bei Hohenelbe eingeladen, auch hier blieb ihm der Erfolg versagt. 1932 kehrte er nach Wien zurück und lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen, arbeitete wiederholt an Verbesserungen seiner Erfindungen, ohne eine eigentl. Anstellung zu haben. „Cycloidenflieger“ nannte W. den Entwurf eines „Flügelradpropellers mit Rollkreisführung“ (Mai 1934), er war als Verbesserung des von Ernst Schneider in Zusammenarbeit mit der Fa. Voith (St. Pölten/Heidenheim) entwickelten Schiffsantriebs gedacht. W. verstarb völlig verarmt.

L.: Illustrirtes Wr. Extrabl., 23. 10. 1908; NFP, 11. 9. 1923; Wr. Luftschiffer-Ztg. 5, 1906, S. 135ff., 246, 6, 1907, S. 245, 7, 1908, S. 13f., 77ff. (m. B.); R. Nimführ, in: Illustrierte Aeronaut. Mitt. 11, 1907, S. 452ff.; H. Kuhfal, in: St. Georg. Illustrierte Z. für Sport und Ges., 1908, Nr. 14, S. 326ff.; Allg. Automobil-Ztg. 9, 1908, Nr. 10, S. 1ff. (m. B.); M. Reiffenstein – F. Rosner-Hertalf, in: Oesterr. Motor – Der Flug 10, 1923, Nr. 8, S. 40ff. (m. B.); Austro-Flug 6, 1956, Nr. 2, S. 20f. (m. B.); E. Zesch, in: Bll. für Technikgeschichte 28, 1966, S. 15ff.; R. Keimel, in: FLUG-Informationen, 1996, F. I+II, S. 3ff.; I. Etrich, Die Taube – Memoiren …, o. J., passim.
(R. Keimel)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 70, 2019), S. 108f.
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