Wietrowetz (Wietrowitz), Gabriele (1866–1937), Violinistin und Lehrerin

Wietrowetz (Wietrowitz) Gabriele, Violinistin und Lehrerin. Geb. Laibach, Krain (Ljubljana, SLO), 13. 1. 1866; gest. Berlin, Dt. Reich (D), 6. 4. 1937; röm.-kath. Tochter von Matthias W. (geb. 1836), einem böhm. Musiker, der als Kornettspieler in einer Militärkapelle tätig war, und der aus Italien stammenden Katharina W., geb. Brunel (geb. 1838). – Seit dem fünften Lebensjahr erhielt W. Geigenunterricht durch den Vater. Nach der Übersiedlung der Familie Anfang der 1870er-Jahre nach Graz besuchte sie die Schule des Stmk. Musikver., wo zunächst Anton Geyer und ab 1877 Ferdinand Caspar für die weitere Ausbildung verantwortl. zeichneten. I. d. F. lassen sich erste öff. Auftritte nachweisen. Initiiert durch das Direktorium des Musikver. erhielt W. Anfang der 1880er-Jahre ein Stipendium des Landes Stmk. 1882 ging sie nach Berlin, wo sie an der Akadem. Hochschule für Musik als Studentin von →Joseph Joachim und dessen Ass. Emanuel Wirth ihre Ausbildung bis 1885 fortsetzte. 1883 und 1885 erhielt sie das Felix Mendelssohn-Bartholdy-Staatsstipendium. Schon früh gelang es W., sich erfolgreich im europ. Musikleben zu etablieren. Bis in die 1920er-Jahre führten sie Konzertreisen nach Dtld., Skandinavien (1889), in die Schweiz (1890, 1893, 1895), nach Polen (1890, 1894), in die Niederlande (1891, 1892, 1902, 1920), nach England (1892–97), Österr. (1893, 1896) sowie Italien (1895) und Frankreich (1898, 1899). Neben den viel gespielten Konzerten von Louis Spohr (op. 47), Mendelssohn (op. 64), Max Bruch (op. 44), →Ludwig van Beethoven (op. 61), →Johannes Brahms (op. 77) und Joachim (op. 11) oder Giuseppe Tartinis Teufelstrillersonate waren Werke von Zeitgenossen wie Edvard Grieg, Henryk Wieniawski, Johan Svendsen und Aleksander Zarzycki ebenso fester Bestandteil ihres äußerst anspruchsvollen Repertoires. Bis 1897 reiste W. alljährl. für einige Monate nach England und konzertierte dort v. a. in London. 1897 lässt sich in England auch ein erster Auftritt des W.-Quartetts nachweisen, das neben W. aus den ehemaligen Musikerinnen des Shinner-Quartetts – Lucy Stone (Violine), Cecilia Gates (Viola) und Florence Hemmings (Violoncello) – bestand. Bis 1901 sind Konzerte in dieser Besetzung in England belegt. W. hatte sich bereits ein ao. Renommee als Solistin und Kammermusikerin erworben, als nach der Jh.wende die Frequenz ihrer Auftritte deutl. abnahm. Eine Anstellung an der Berliner Musikhochschule 1901/02 hielt den zeitl. Rahmen ihrer Konzerttätigkeit fortan begrenzt. Mit dieser Hochschultätigkeit war W. Pionierin, wurde sie doch als erste Frau in das Kollegium der Geigenabt. an der Kgl. akadem. Hochschule für Musik aufgenommen. Nachdem sie 1908/09 ihr Deputat – wohl aufgrund gesundheitl. Probleme – um die Hälfte reduziert hatte, beendete sie 1912 die Lehrtätigkeit ganz. Der Senat hatte aufgrund der zahlreichen Ausfälle die Neubesetzung ihrer Stelle beschlossen. In den folgenden Jahren erlebte das W.-Quartett eine Renaissance. Zunächst mit Martha Drews (Violine), Erna Schulz (Viola) und Eugenie Stoltz (Violoncello), später mit neuen Mitgl., lassen sich bis 1923 Auftritte nachverfolgen, wenn auch die Zahl seit 1917 abnahm. W. setzte ihre Konzerttätigkeit offenbar bis 1927 fort. Nach der Auflösung ihres Quartetts trat sie in wechselnder kammermusikal. Besetzung auf.

L.: Frank–Altmann; MGG II; Müller; Signale für die musikal. Welt 43, 1885, S. 921; Neue Berliner Musikztg. 42, 1888, S. 56; Neue Z. für Musik 57, 1890, S. 114, 195, 218; A. Morsch, Dtld. Tonkünstlerinnen, 1893, S. 192f.; A. Ehrlich, Berühmte Geiger der Vergangenheit und Gegenwart, 1893, S. 302ff. (m. B.); Musical News, 1897, II, S. 539; H. Ch. Lahee, Famous Violinists of To-day and Yesterday, 1899; W. J. v. Wasielewski, Die Violine und ihre Meister, 1927, s. Reg.; H. Roth, in: The Strad 83, 1972, S. 551ff.; I. Prante, Die Schülerinnen J. Joachims, wiss. Hausarbeit Berlin, 1999; Y. Melchert, G. W. – ein „weiblicher Joachim“?, 2018; Der „männliche“ und der „weibliche“ Beethoven, ed. C. Bartsch u. a., 2003, s. Reg. (m. B.); Lex. Europ. Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jh. (online, Zugriff 20. 3. 2019); MUGI. Musik und Gender im Internet (Zugriff 20. 3. 2019).
(A. Babbe)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 71, 2020), S. 201f.
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