Zdarsky, Mathias (1856–1940), Sportler, Erfinder und Fachschriftsteller

Zdarsky Mathias, Sportler, Erfinder und Fachschriftsteller. Geb. Kozichowitz, Mähren (Kožichovice, CZ), 25. 2. 1856; gest. St. Pölten (NÖ), 20. 6. 1940 (begraben: Habernreith, NÖ); röm.-kath. Sohn des Müllermeisters Johann Z. und der Müllermeisterstochter Zenta Z., geb. Eigel; unverheiratet. – Mit zehn Jahren erlitt Z. durch eine Explosion eine Verletzung, woraufhin er auf dem linken Auge erblindete. Deswegen besuchte er erst ab 1870 zunächst das Gymn., danach die Oberrealschule in Iglau sowie ab 1874 die dt. Lehrerbildungsanstalt in Brünn, wo er 1878 maturierte. I. d. F. absolv. er bis 1881 ein Unterrichtspraktikum an einer Wr. Volksschule und hörte zwei Semester anatom. Vorlesungen für Mittelschullehrer. Für die Finanzierung der Lehrerausbildung durch ein Stipendium musste er sich verpflichten, fünf Jahre zu unterrichten, u. a. 1881–82 in der Volksschule Elsenreith und 1882–83 in der Strafanstalt Stein, wobei die dortigen Erfahrungen eine Lehrerkarriere vereitelten. Ab 1884 stud. er zwei Semester an der Münchner ABK. 1887 vertiefte er seine mathemat. und physikal. Kenntnisse an der ETH Zürich, ehe er 1889 ein Bauerngut in Habernreith erwarb und ausbaute. Als er von Fridtjof Nansens Grönlanddurchquerung auf Schneeschuhen erfuhr, ließ er sich solche aus Oslo liefern. Bis 1896 experimentierte er mit Ausrüstung und Technik. Z. machte die Skilänge von der Beinlänge bzw. der Körpergröße abhängig, stimmte die Skibreite auf das jeweilige Gewicht der Person ab und erreichte damit den fiktiven Radius von ca. 42 m, der die engen Spuren in den Kurven ermöglichte. Dabei erkannte er die Bedeutung von flexibler Taillierung bei Belastung, einer Vorform der heutigen Carving-Technik. Die Schuhspitze positionierte er vor der Skimitte, die sich aus Arm- plus Fußlänge ergab. Er verbesserte die Skibindung (Stahlsohlenbindung, als Lilienfelder bzw. Z.-Bindung bekannt, Patent 1896) und propagierte die Einstocktechnik. Eine genaue Bauanleitung für Ski findet sich in seinem bahnbrechenden Buch „Die Lilienfelder Skilauf-Technik“ (1897), das bis 1925 17 Aufl. erlebte. Bei der Weiterentwicklung der Fahrtechnik half ihm die Analyse seiner Spuren im Schnee. Seine Art, die Hänge durch Kurvenfahren sturzfrei, locker und zügig zu meistern, beruht auf dem Stemmfahren. Den Schwungwechsel erzeugte er, indem er das gestreckte, gestemmte Talbein durch Beugen zum Standbein und das gebeugte Standbein durch Strecken zum Stemmbein machte. Z.s Umsetzung der wechselweise ausgeführten Beinbewegungen stand in krassem Gegensatz zur Stemmbogentechnik, wie sie aus dem Telemark der Norweger entwickelt wurde. 1907 gab er in seinen „Methodischen Skilaufübungen“ (in: Der Schnee 2, 1907) bereits deutl. Hinweise auf seinen später legendär gewordenen Schlangenschwung, den Parallelschwung, das Wedeln und das heutige Carven. Seine Technik des Wechsels von Vorwärts- und Rückwärtsbogen führte zum sog. Walzerschwung. Darüber hinaus beherrschte Z. den Telemark sowie den Kristiania-Schwung und liebte das Springen und Tourengehen. 1905 veranstaltete er auf dem Muckenkogel bei Lilienfeld den 1. Torlauf, wobei es ihm nicht um den Wettkampf ging, den er vehement ablehnte, sondern um sturzfreies, sicheres Befahren der markierten Strecke mit Alpin-Ausrüstung samt Rucksack. Ab 1897/98 wurde mit der Ausbildung nach Z.s Fahrweise in einzelnen Truppenkörpern der k. u. k. Armee begonnen, ab 1903 hielt er selbst zahlreiche Kurse ab und verf. 1908 eine „Anleitung für den Gebrauch und die militärische Verwendung der Ski und Schneereifen“. 1907 wurde seine verlässl., seitenstabile Lilienfelder (Alpenski-)Bindung in der Armee einheitl. eingeführt, während →Georg Bilgeri erst 1908 eine sehr ähnl. Bindung herausbrachte. Der Bindungsstreit, der beinahe zu einem Duell führte, wurde schließl. zugunsten von Z. entschieden. Zivile Kurse mit oft großen Teilnehmerzahlen führten Z. in viele Orte Österr., nach Dtld., u. a. in den Harz (1898), in die Karpaten, das Riesengebirge und die Schweiz. Z. befürwortete vehement die Abstinenz von Alkohol und Nikotin. Anfang Jänner 1906 erwirkte er den direkten „Sportzug“ von Wien nach Lilienfeld und die kostenfreie Mitnahme von Skiern schon in der Straßenbahn. 1909 urgierte er bei der obersten Schulbehörde, um den Skilauf in den Schulunterricht zu integrieren. Als Ausbildner für Gebirgstruppen und als Lawinenexperte im 1. Weltkrieg tätig, wurde er im Februar 1916 an der Südfront durch eine (Nach-)Lawine verschüttet und schwer verletzt, worauf er sich auf fachschriftsteller. Tätigkeiten verlegte. Darüber hinaus erfand er das Z.-Zelt als Vorläufer des Biwaksacks. Sein sog. ERZ-Koffer für Eisenbahnen (benannt nach →Anton Frh. v. Eiselsberg, Josef v. Rosmanith und Z., 1905) war Vorbild für spätere Erste-Hilfe-Koffer. 1898 gründete Z. den Lilienfelder Skiver. und 1900 den Internationalen Alpen-Skiver. in Wien (ab 1904 Alpen-Skiver.). Der 1905 u. a. vom dt.nationalen Wilhelm Paulcke in München gegr. Österr. Skiverband ignorierte bewusst die weitreichenden Schöpfungen Z.s, weil dieser auch leicht abweichende Meinungen nicht goutierte. Z. war u. a. ab 1905 Ehrenmitgl. des Ski Club of Great Britain, ab 1908 des Alpen-Skiver., ab 1937 des Österr. Skiverbands und erhielt 1916 das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens, 1931 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österr. und 1936 das Off.kreuz des österr. Verdienstordens.

Weitere W.: Skisport, 1909 (2. Aufl. 1915); Sport und Sportbetrieb, 1912; Elemente der Lawinenkde., 1916; Für Skifahrer, 1916; Das Wandern im Gebirge, 1925; Beitrr. zur Lawinenkde., 1929; Falsche Lebensgewohnheiten, 1937.
L.: E. Mehl, Z. FS zum 80. Geburtstag ..., 1936 (m. B.); H. Tiwald, Vom Schlangenschwung zum Skicurven, 1996, S. 6ff.; F. Wolfgang u. a., M. Z., 2. Aufl. 2003 (m. B.); A. Klien, in: A. Klien, Schneiden im Schnee, 2015, S. 117f.; O. Schöner, in: M. Z. und die Bahnbrecher im alpinen Schnee, 2015, S. 154ff. (m. B.); G. Chappaz – G. Desmurs, Une histoire du ski, 2019, S. 24ff., 37, 42f.; H. Zehetmayer, in: Skispuren, ed. R. Müllner – Ch. Thöny, 2019, S. 55ff.; O. Schöner, ebd., S. 151ff.; O. Schöner, in: Reflexionen, ed. A. Klien, 2020, S. 124ff.; A. Klien, ebd., S. 330f.; H. Tiwald, Von Pflugbogen, Schlangenschwung und „Schuß-bums-Technik“ (online, Zugriff 23. 10. 2020); E. Bazalka, Skigeschichte NÖ (online, Zugriff 23. 10. 2020); mathias-zdarsky.de (Zugriff 23. 10. 2020); Z.-Ski-Mus. Lilienfeld, NÖ.
(A. Klien)   
PUBLIKATION: ÖBL 1815-1950, Bd. 16 (Lfg. 72, 2021), S. 451f.
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