Karl Franz Joseph, Kaiser von Österreich, König von Ungarn. * Persenbeug (N.Ö.), 17. 8. 1887; † Quinta do Monte auf Madeira (Portugal), 1. 4. 1922. Enkel des Folgenden, Sohn Erzh. Ottos (* Graz, 21. 4. 1865; † Wien, 1. 11. 1906) und der Prinzessin Maria Josepha (* Dresden, 31. 5. 1867; † Schloß Wildenwart, Oberbayern, 28. 5. 1944), der Tochter Prinz (seit 1902 König) Georgs von Sachsen. K. wurde vor allem von seiner frommen Mutter betreut. Gen. Gf. G. Wallis war sein Erziehungsleiter und der sportliche Philologe J. Holzlechner sein Hauslehrer. Er stud. am Wr. Schottengymn. als Privatist (in den naturwiss. Fächern nahm er am Klassenunterricht teil), lernte früh Fremdsprachen, machte Bildungsreisen durch die Monarchie und Westeuropa und genoß auch eine vorbereitende militär. Erziehung. Achtzehnjährig trat K. als Lt. bei den in Böhmen garnisonierten Savoyen-Dragonern n. 7 ein. Nach dem Tode seines Vaters übte sein Onkel, Erzh. Thronfolger Franz Ferdinand (s. d.), die Mitvormundschaft bis zur Großjährigkeitserklärung (17. 8. 1907) aus. 1909 wurde K. Rtm., am 21. 10. 1911 vermählte er sich in Schloß Schwarzau (N.Ö.) mit Prinzessin Zita (* Villa Pianore, Prov. Lucca, 9. 5. 1892), Tochter des Herzogs Robert v. Bourbon- Parma (* Florenz, 9. 7. 1848; † Villa Pianore, 16. 11. 1907). Dem ersten gemeinsamen Winter 1911/12 in Brandeis folgte die Versetzung des Rgts. nach Ostgalizien in Form eines Reiterzugs, der für K. in der Garnison Kolomea an der russ. Grenze endete. 1912 Mjr. Nach der Geburt Erzh. Ottos (* Reichenau, N.Ö., 20. 11. 1912) bezog K. mit seiner Familie Schloß Hetzendorf. Wie schon frühere Kaisermanöver machte er auch die südböhm. Herbstmanöver 1913 im Stab des Thronfolgers mit; Mai 1914 Obstlt., erhielt er auch eine generalstabsmäßige Ausbildung und rückte infolge der Ermordung von Franz Ferdinand am 28. 6. 1914 jäh zum Thronfolger auf. Zum Obst. befördert, wurde K. mit Kriegsbeginn dem Armeeoberkmdo. zunächst in Przemysl zugeteilt. Während der unglücklichen Einleitungsschlachten um Lemberg empfing er die Feuertaufe und übersiedelte dann mit dem Hauptquartier nach Teschen, von wo aus er zahlreiche Aufträge für K. Franz Joseph (s. d.) in Schönbrunn und für Einheiten an der russ. Front ausführte. Im Sommer 1915 berief ihn der K. als GM in seine Umgebung; er erhielt einigen Einblick in die Regierungsgeschäfte, ohne jedoch auch an den polit. Vorgängen beteiligt zu sein. Im Vorfrühling 1916, als man eine Gegenoffensive gegen Italien von Südtirol aus plante, wurde K. an die Spitze des aus Elitetruppen gebildeten 20. (Edelweiß-) Korps berufen, das an den Anfangserfolgen ab 15. 5. 1916 wesentlichen Anteil hatte. Doch die allg. Kriegslage veranlaßte seine Kommandierung nach Chodorow (Ostgalizien), wo er in der Abwehr der fast übermächtigen Brussilow-Offensiven mit dem preuß. Gen. H. v. Seeckt als Stabschef, ein Heeresgruppenkmdo. leitete, dem nach der rumän. Kriegserklärung (15. 8. 1916) bald auch die Verteidigung Siebenbürgens übertragen wurde. Der im Ergebnis erfolgreichen Ausweitung seiner Verantwortung entsprach K.s Beförderung zum Gen. d. Kav. und zuletzt zum Gen.-Obst. und Großadmiral. Nach dem Hinscheiden K. Franz Josephs am 21. 11. 1916 wurde er K. von Österr. und Kg. von Ungarn. Noch vor Jahresende kam es zu bedeutenden personalen Veränderungen, wobei gewisse Empfehlungen des ermordeten Thronfolgers mitgespielt haben mochten. Aber im Gegensatz zu dessen Vorstellungen, gab K. dem ung. Min.-Präs. Gf. St. Tisza in der Frage einer an keine Bedingung geknüpften sofortigen Krönung in Budapest nach, die am 30. 12. 1916 stattfand. Anderseits unterließ er das im Thronbesteigungsmanifest verheißene Gelöbnis auf die österr. Verfassung. Min.-Präs. E. v. Körber trat zurück und der böhm. Politiker Gf. H. Clam-Martinic (s. d.) trat an seine Stelle. Der von Außenmin. Gf. St. Burián (s. d.) schon früher vorbereitete Friedensappell des Vierbundes vom 12. 12. 1916 erwies sich sofort als Fehlschlag und Gf. O. Czernin (s. d.) wurde Buriáns Nachfolger. Eine besondere Vertrauensstellung erhielten Prinz K. Hohenlohe-Schillingsfürst (s. d.) als Erster Obersthofmeister und Gf. A. Polzer-Hoditz als Kabinettsdir. Einer ganz persönlichen Entscheidung des jungen K.s entsprang die Übersiedlung des Armeeoberkmdos. von Teschen nach Baden und die Entmachtung von FM Gf. F. Conrad v. Hötzendorf (s. d.), der das Kmdo. in Südtirol übernehmen mußte; K. selbst leitete von da an mit Unterstützung von A. Frh. Arz v. Straußenburg (s. d.) als Chef des Generalstabs, und von Gen. A. Frh. v. Waldstätten, der schon seit 1916 sein militär. Berater war, die oberste militär. Befehlsstelle. Inzwischen war, entgegen K.s Auffassung der Lage, die dt. Kriegsleitung das Wagnis des uneingeschränkten U-Bootkrieges eingegangen (1. 2. 1917) und die Ausweitung des Krieges auf Amerika drohte. Da empfing nach geheimen Vorbereitungen das Kaiserpaar am 24. 3. 1917 zu Laxenburg die Prinzen Sixtus und Xavier v. Bourbon-Parma in der Hoffnung, auf Umwegen ein Friedensgespräch mit Paris aufnehmen zu können; aber die Aktion blieb erfolglos, da es den Franzosen nicht um eine Vermittlung K.s in der elsäß.-lothring. Frage, sondern auf die Sprengung des Bündnisses ankam. Um so mehr verstärkten K. und Czernin ihre Anstrengungen zur Herbeiführung eines den Besitzstand der Mittelmächte erhaltenden Verständigungsfriedens bei dem dt. Verbündeten, ohne daß die Kaiserbegegnung in Bad Homburg (April 1917) und eine, die Chancen für den Sieg düster beurteilende Denkschrift Czernins, Wandel geschaffen hätten. Inzwischen wurden die ersten Folgen der russ. Februarrevolution auch diesseits der Front wahrnehmbar. Der Reichsrat, im Kriege noch niemals zusammengetreten, wurde am 31. 5. mit einer Thronrede des jungen K.s eröffnet, die wie seine vorangegangenen Kundgebungen seine Volksverbundenheit und Friedensbereitschaft unterstrich, ohne sich auf einen bestimmten Reformplan festzulegen. Im Auftrag K.s eingeleitete Bemühungen Clam-Martinic’ um ein Völkermin. scheiterten; staatsrechtliche Vorbehalte der Tschechen und Südslawen und ihre Verweigerung der Kriegsnotwendigkeiten blockierten das angelaufene parlamentar. Leben. So machte der K. den Versuch, durch die Berufung des von ihm als Verwaltungsfachmann geschätzten Sektionschefs E. v. Seidler an Stelle von Clam-Martinic ein Provisorium zu setzen, um inzwischen ein Kabinett zur Herbeiführung des inneren und äußeren Völkerfriedens vorzubereiten. Schon im Hinblick auf die Stimmung beim dt. Bundesgenossen erkannte K. bald selbst, daß Versuche zur Kabinettsbildung etwa mit M. Wl. v. Beck (s. d.), J. Redlich oder H. Lammasch verfrüht wären. So blieb es denn bei der Betrauung von Seidler, während Czernin nach Tiszas Ablösung durch Gf. M. Esterházy und etwas später durch A. Wekerle mehr und mehr als Sprecher der Monarchie und zwar im Sinne einer Rückkehr zur Normalisierung des Völkerlebens, wie sie K. erhoffte, hervortrat. Zur innenpolit. Entlastung gedachte, aber auch echt humanen Empfindungen entsprungene persönliche Schritte K.s — Erlassung einer umfassenden polit. Amnestie und Abbau der Ausnahmegesetzgebung — führten zu keiner Entspannung der inneren Lage, und die Not an der Front und im Hinterland konnte nur größte Besorgnisse für den Kriegswinter 1917/18 erwecken. Wohl wurde K. im Herbst 1917 Augenzeuge der siegreichen österr.-ung. und dt. Offensive vom Isonzo zum Piave, er erlebte zu seiner Genugtuung die Einleitung von Friedensverhandlungen mit dem bolschewist. Rußland in Brest-Litowsk und die Aufnahme einer Verbindung Czernins mit W. Wilson über die Möglichkeiten eines dauernden Weltfriedens, der Sonderfriede mit der Ukraine wurde am 2. 2., mit Rußland am 4. 3. 1918, mit dem halbbesetzten Rumänien, wobei K. persönlich intervenierte, etwas später geschlossen, aber die Entlastung der Lage im Osten blieb dauernd in Schwebe. So mußte K. einer Mitbeteiligung an der Besetzung der Ukraine zustimmen, um der Monarchie ihren Anteil an den dort erhofften Vorräten zur Abwendung der ärgsten Not an Lebensmitteln zu sichern. Ungeachtet dieser unleugbaren Erfolge, die freilich die Abhängigkeit von Deutschland stetig erhöhten, sah sich K. von seinem Friedensziel immer weiter entfernt: der Streit um die Auslegung des Selbstbestimmungsrechtes wurde ins Innere der Monarchie getragen, die Haltung der Slawenführer immer mehr auf die der Exilpolitiker abgestimmt und in Ungarn statt der von K. erhofften Wahlreform auf eine bloße Personalunion mit Österr. hingesteuert. K.s auch der Arbeiterschaft bekannte Bemühungen um soziale Befriedung, mit der auch die Vorbereitung eines Arbeits- und Gesundheitsmin. zusammenhing, erleichterten die Beilegung des Jännerstreiks 1918 in der Wr. und Budapester Rüstungsindustrie. Schwere Einbuße erlitt das Ansehen des Kaiserpaares durch die Veröff. der sogenannten „Sixtus-Briefe“ durch Clemenceau und die Form des Rücktrittes von Czernin, dessen Nachfolger Burián wurde. Die dt. Oberste Heeresleitung veranlaßte die überstürzte Waffenstillstandsbitte Österr.-Ungarns und Deutschlands an Wilson. Die USA lehnten weitere Verhandlungen ab, da die Nationalitäten selbst zu entscheiden hätten. Der Versuch des K.s, durch Verkündigung eines Manifestes vom 16. 10. 1918 Österr. in einen Bundesstaat umzugestalten, und die Bestellung der Regierung Hussarek (s. d.), welche die Auflösung der einen Reichshälfte durch Anerkennung der Nationalräte einleitete, veranlaßte Ungarn zur Kündigung des Dualismus. Die letzte Regierung Lammasch, welche K. berief, konnte ihre Vermittlerrolle den neuen Nationalstaaten gegenüber nicht erfüllen und gegenüber Ungarn nützte die Bestellung des FM Erzherzog Joseph als „homo regius“ nichts mehr gegen die Machtergreifung des pazifist., dynastiefeindlichen Gf. M. Károlyi. Die Nationalräte der sich bildenden Staaten, einschließlich der dt.-österr. Abg., die sich als Provisor. Nationalversmlg. im Niederösterr. Landhaus konstituierten, waren zur Liquidierung des alten Staates berufen. Der letzte Außenmin. des K.s, Gf. J. Andrássy (s. d.), löste am 27. 10. 1918 das Bündnis mit Deutschland. Die Abwehrfront gegen Italien geriet durch den Staatsumbau und die Angriffe der Entente in Auflösung und K. trat formell das Armeeoberkmdo. an FM Baron H. Kövess ab. Im Waffenstillstand von Padua, am 3. 11. 1918, mußte das Diktat der Entente, prakt. die Auflösung Österr.-Ungarns, entgegengenommen werden. Am 11. 11. 1918 unterzeichnete der K. auf Drängen von Lammasch ein Dokument über seinen Verzicht der Ausübung der Regierungsgeschäfte und übersiedelte mit seiner Familie nach Eckartsau, wo er am 13. 11. 1918 eine fast gleichlautende Urkunde für Ungarn unterfertigte. Nach der Proklamation Dt.-Österr. zur Republik (12. 11. 1918) und der weiteren Entwicklung in Österr. und Deutschland widersetzte sich K. weiterhin jedem förmlichen Thronverzicht und mußte angesichts der drohenden Gewaltanwendung seitens der Wr. Staatsregierung am 24. 3. 1919 unter brit. Schutz Exil in der Schweiz suchen, wobei er in Feldkirch seine Erklärung vom 11. 11. 1918 für ungültig erklärte. Von Prangins am Genfersee die Entwicklung in den Nachfolgestaaten beobachtend, glaubte er, in Ungarn die Grundlage für eine spätere Restauration der Habsburger zu finden. Der erste Rückkehrversuch zu Ostern 1921, der an der Weigerung des Reichsverwesers N. v. Horthy, die Regierungsgewalt zu übergeben, und an der Haltung der Großmächte scheiterte, führte zu einem demütigenden Rücktransport in die Schweiz. Von Hertenstein am Vierwaldstättersee bereitete K., unterstützt von einem konservativen Mitarbeiterstab, der in Österr.-Ungarn und der Tschechoslowakei eine lebhafte Agententätigkeit entfaltete, seine zweite Rückkehr nach Ungarn vor, die sich auf die königstreuen Truppen um Ödenburg stützen sollte. Im Flugzeug mit Kn. Zita am 20. 10. 1921 nach Ungarn zurückgekehrt, scheiterte der militär. zunächst gut vorbereitete Marsch auf Budapest am Widerstand der Truppen Horthys und an den Einsprüchen der Großen und Kleinen Entente. Nach einer Gefangenschaft im Kloster Tihany am Plattensee wurde das Königspaar auf brit. Kriegsschiffen nach Madeira gebracht. Bar jeder materiellen Unterstützung starb K., nur von seiner Familie umgeben, am 1. 4. 1922 an einer Lungenentzündung, von der Richtigkeit seiner Haltung bis zuletzt überzeugt. Seine sterblichen Überreste wurden in der Wallfahrtskirche Nossa Senhora do Monte beigesetzt. K., dem Initiative und Improvisation mehr galten als Etikette und bürokrat. Erfahrung, war rastlos fleißig und von größter Einfachheit in der Lebensführung. Er versuchte eine Art Treuhänder zu sein, für die berechtigten Ansprüche der einander widerstrebenden sozialen und nationalen Gemeinschaften, ein Vermittler eher als ein Parteigänger der bestehenden europ. Machtblöcke. Doch verkannte er nur zu oft die Härte der Gegensätze und die ausweglosen Schwierigkeiten der Lage und meinte zudem auch, die überlieferten Elemente des selbstbewußten Habsburgers bewahren zu können: den familienhaften Einschlag in seinem polit. Denken und Auftreten, seine persönliche Herrscherpflicht über allen Zuständigkeiten, ein weites Gnadenrecht zur Belohnung und Versöhnung, Harmonie von Thron und Altar und nicht zuletzt die Verpflichtung des Obersten Kriegsherrn, unbeschadet einer fast pazifist. Grundhaltung des tapferen Soldaten.