Karlik, Berta Emilie (1904–1990), Physikerin

Karlik Berta Emilie, Physikerin. Geb. Mauer bei Wien, Niederösterreich (Wien), 24. 1. 1904; gest. Wien, 4. 2. 1990; röm.-kath. Tochter des Juristen und Direktors der Niederösterreichischen Landeshypothekenanstalt Dr. Carl Karlik (1867–1951) und von Karoline Baier (1877–1962). – Nach Besuch des Mädchenlyzeums und Reform-Realgymnasiums in der Wenzgasse (Wien 13) studierte K. ab 1923 an der philosophischen Fakultät der Universität Wien Physik und Mathematik. Ihre Doktorarbeit über Szintillationen, schwache Lichtblitze, die von Kernteilchen an bestimmten Materialien ausgelöst und zum Teilchennachweis verwendet werden, führte sie am Institut für Radiumforschung der Akademie der Wissenschaften in Wien unter →Stefan Meyer aus; 1928 Dr. phil. und Lehramtsprüfung. 1928/29 absolvierte sie das Probejahr am Gymnasium Albertgasse in Wien 8. Ein Forschungsaufenthalt in England 1930–31, finanziert durch ein Stipendium des Verbands der Akademikerinnen Österreichs (VAÖ), motivierte K. zu einer wissenschaftlichen Karriere. Ab 1931 wieder am Wiener Radiuminstitut, wurde sie 1933 bezahlte wissenschaftliche Hilfskraft. Dort untersuchte sie (zum Teil mit Elisabeth Rona) den Zusammenhang der Reichweite (Energie) von Alphastrahlen mit der Intensität der Szintillationen sowie gemeinsam mit →Herbert Haberlandt und Karl Przibram die Fluoreszenz des Minerals Fluorit unter Ultraviolett-Bestrahlung. In einem Projekt zur Untersuchung der Radioaktivität des Meerwassers (in Zusammenarbeit mit dem Ozeanographischen Institut in Göteborg) bestimmten K. und Friedrich Hernegger den Urangehalt von Meerwasserproben. 1937 habilitierte sich K. an der Universität Wien für Physik. 1943 wies sie gemeinsam mit Traude Bernert das Element mit der Ordnungszahl 85 (Astat) in den natürlichen radioaktiven Zerfallsreihen nach. Nach dem 2. Weltkrieg wurde K. zunächst provisorisch, 1947 definitiv Leiterin des Instituts für Radiumforschung. Damit verlagerte sich der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten von eigener Forschung hin zum Wissenschaftsmanagement. Ihr Konzept beinhaltete vor allem den Bau eines Neutronengenerators. Das Studium neutroneninduzierter Kernreaktionen im Hinblick auf technologische und medizinische Anwendungen, aber auch aus grundlagenphysikalischem Interesse entsprach dem Trend der Zeit ebenso wie K.s Einsatz für eine friedliche Nutzung der Atomenergie. Dem neuen Forschungsschwerpunkt des Radiuminstituts wurde durch die Umbenennung in Institut für Radiumforschung und Kernphysik (IRK) Rechnung getragen. Weiters richtete K. 1949 am Radiuminstitut die sogenannte Isotopenstelle ein, die künstlich radioaktive Substanzen aus England und den USA importierte und an die Anwender in Forschung, Technik und Medizin weitergab. Ferner ließ sie noch in den 1950er-Jahren eine Anlage zur Altersbestimmung mit Hilfe der Radiokarbonmethode am Wiener Radiuminstitut aufbauen. Routinedatierungen von Proben aus Archäologie, Frühgeschichte, Geographie, Geologie, Klimatologie etc. erfolgten ab 1962. 1950 ao. Prof. für Kernphysik, wurde sie 1956 erste Ordinaria der philosophischen Fakultät der Universität Wien. K. engagierte sich auch in der Wissenschaftspolitik: 1951 initiierte sie die Gründung der Österreichischen Physikalischen Gesellschaft, nahm an der Planung des Europäischen Kernforschungszentrums CERN in Genf teil und erwirkte Österreichs Mitgliedschaft. Sie arbeitete in der Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der friedlichen Nutzung der Atomenergie (Gründung der österreichischen Atomenergiekommission, Errichtung zweier Forschungsreaktoren, Schaffung der Internationalen Atomenergiebehörde, Erarbeitung eines Strahlenschutzgesetzes für Österreich) mit und war Mitglied in internationalen Kommissionen zur Regelung des Gebrauchs von Symbolen, Einheiten und Standards der Radioaktivität. Zudem erreichte K. die Wiedererrichtung des VAÖ, der 1938 aufgelöst worden war (1947–54 Präsidentin). Nach ihrer Emeritierung 1974 verfasste sie wissenschaftshistorische Schriften, u. a. 1982 die Monographie „Franz S. Exner und sein Kreis“ (gemeinsam mit Erich Schmid). Ferner war sie Mitglied des Kuratoriums des Radiuminstituts der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) bis zu dessen Auflösung 1987. K. erhielt 1933 und 1947 den Haitinger-Preis für Physik der ÖAW, 1967 den Erwin-Schrödinger-Preis der ÖAW, 1951 den Preis für Naturwissenschaften der Stadt Wien, 1954 die Wilhelm-Exner-Medaille und 1964 die Ehrenmedaille der Stadt Wien in Gold. Sie war ab 1954 korrespondierendes, ab 1973 als erste Frau wirkliches Mitglied der ÖAW, ab 1950 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Göteborg, ab 1962 Commandeur de l’Ordre des Palmes Académiques und ab 1975 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle an der Saale.

Weitere W.: s. Poggendorff; Bischof, 2000; Keintzel – Korotin; Angetter – Martischnig. – Nachlass: Institut für Radiumforschung, Archiv der ÖAW, Wien.
N.: Österreichische Hochschulzeitung, 1. 4. 1990; Almanach Wien 140, 1990, S. 305–313 (m. B.).
L.: Österreichische Hochschulzeitung, 15. 2. 1969; Die Presse, 13. 2. 1990 (Parte); Poggendorff 7a (m. W.); R. Strohmeier, Lexikon der Naturwissenschaftlerinnen und naturkundigen Frauen Europas, 1998; B. Bischof, Frauen am Wiener Institut für Radiumforschung, rer. nat. DA Wien, 2000, S. 101–119 (m. W.); Wissenschafterinnen in und aus Österreich …, ed. B. Keintzel – I. Korotin, 2002 (m. B. u. W.); D. Angetter – M. Martischnig, Biografien österreichischer PhysikerInnen, 2005 (m. B., tw. W. u. L.); B. Strohmaier, B. K. (1904–1990): Kernphysikerin, Wissenschaftsmanagerin, erste Ordinaria an einer philosophischen Fakultät in Österreich, in: Strahlenschutz aktuell 42, 2008, H. 1, S. 20–29 (m. B.); dies., B. K. – Die Grande Dame des Wiener Radiuminstituts, in: Mensch – Wissenschaft – Magie. Mitteilungen der Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 27, 2010, S. 91–107 (m. B.); Materialiensammlung ÖBL (m. B.), UA, Zentralbibliothek für Physik, alle Wien.
(B. Strohmaier)  
Zuletzt aktualisiert: 10.5.2013  
PUBLIKATION: ÖBL Online-Edition, Lfg. 2 (15.03.2013)

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